Die Brüder Grimm und die deutsche Sprache

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Meine Liebe zur deutschen Sprache

Bereits während meines Germanistikstudiums merkte ich schnell, wie sehr mich meine Muttersprache fasziniert. Und natürlich kann man kaum Germanistik in Kassel studieren, ohne dass man einen genaueren Blick auf die Brüder Grimm wirft. Vielen mögen die Brüder in erster Linie durch ihre Märchensammlung bekannt sein. Auch ich habe sie zu Beginn meines Studiums ausschließlich mit den teilweise schaurigen Erzählungen in Verbindung gebracht. Doch dann erfuhr ich, dass Jakob und Wilhelm eine weitere Sammlung erschufen – eine, die wohl den monumentalsten Beitrag zur deutschen Schriftsprache leistete – das deutsche Wörterbuch.

Die Entwicklung der deutschen Sprache und die Arbeit der Brüder Grimm

Die deutsche Sprache ist ein faszinierendes, sich ständig wandelndes Gebilde – geprägt von Jahrhunderten der Veränderung, kulturellen Einflüssen und regionalen Eigenheiten. Sie ist nicht nur ein Mittel zur Kommunikation, sondern auch ein Spiegelbild unserer Geschichte. Ein zentrales Werk, das die Bedeutung und den Reichtum der deutschen Sprache dokumentiert, ist das Deutsche Wörterbuch der Brüder Grimm, das bis heute als eine der monumentalsten Sprachleistungen gilt. Aber wie entstand dieses bahnbrechende Werk? Und warum ist die deutsche Sprache so einzigartig?

Die Brüder Grimm und das Deutsche Wörterbuch

Jacob und Wilhelm Grimm sind vor allem als Sammler und Herausgeber von Märchen weltberühmt. Doch neben ihren literarischen Arbeiten waren die beiden Sprachwissenschaftler von besonderer Bedeutung für die deutsche Sprachgeschichte. Ihr größtes wissenschaftliches Werk, das Deutsche Wörterbuch, begann 1838 als ambitioniertes Projekt mit dem Ziel, den gesamten deutschen Wortschatz zu erfassen und die Bedeutungen und historischen Entwicklungen jedes einzelnen Wortes zu dokumentieren.

Der Entstehungsprozess dieses Wörterbuchs war mühsam und langwierig. Ursprünglich hatten die Brüder Grimm geplant, das Werk innerhalb von zehn Jahren abzuschließen. Doch schon bald wurde ihnen klar, dass sie den Umfang der Aufgabe unterschätzt hatten. Jedes Wort, das in das Wörterbuch aufgenommen wurde, wurde nicht nur in seiner heutigen Bedeutung erläutert, sondern auch in seiner historischen Entwicklung, seiner grammatischen Form und seiner Verwendung in literarischen und wissenschaftlichen Texten dargestellt. Die Brüder Grimm nutzten hierbei Texte aus verschiedenen Jahrhunderten, um die sprachlichen Veränderungen im Laufe der Zeit aufzuzeigen.

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Obwohl Jacob und Wilhelm Grimm während ihres Lebens nur die ersten Bände fertigstellen konnten, wurde das Projekt nach ihrem Tod fortgeführt und erst 1961 abgeschlossen. Ihr Werk ist bis heute ein wertvolles Nachschlagewerk für Sprachwissenschaftler und Germanisten und zeigt eindrucksvoll, wie tiefgehend und präzise sich die Grimms mit der Sprache auseinandergesetzt haben.

Die Besonderheiten der deutschen Sprache

Die Arbeit der Brüder Grimm lenkt den Blick auf das, was die deutsche Sprache so besonders macht. Sie ist reich an Wörtern und Ausdrucksformen, die in ihrer Genauigkeit und Tiefe oft schwer in andere Sprachen zu übersetzen sind. Besonders interessant ist dabei die deutsche Fähigkeit zur Wortzusammensetzung. Lange, verschachtelte Wörter wie „Donaudampfschifffahrtsgesellschaftskapitän“ wirken auf den ersten Blick abschreckend, zeigen aber, wie flexibel und präzise die deutsche Sprache ist. Mit Hilfe dieser Wortzusammensetzungen kann man komplexe Sachverhalte in einem einzigen Begriff zusammenfassen.

Auch die deutsche Grammatik ist bemerkenswert. Die Deklinationen und das System der Fälle (Nominativ, Genitiv, Dativ, Akkusativ) sind für viele Lernende eine Herausforderung, aber sie ermöglichen eine Präzision im Ausdruck, die in vielen anderen Sprachen nicht in diesem Maße gegeben ist. Subtile Unterschiede in der Wortstellung oder der Wahl eines bestimmten Falles können den Sinn eines Satzes entscheidend verändern. Diese Feinheiten tragen zur Vielschichtigkeit und Schönheit der Sprache bei.

Deutsche Sprache zwischen Faszination und Herausforderung: Rechtschreibung und LRS

Selbst für geübte Schreiber stellt die deutsche Rechtschreibung manchmal eine echte Herausforderung dar. Für Kinder mit einer Lese-Rechtschreib-Schwäche (LRS) sind diese Hürden jedoch besonders hoch. Um besser zu verstehen, warum die deutsche Rechtschreibung so komplex ist, lohnt sich ein Blick auf einige ihrer Eigenheiten – und darauf, wie sie sich von anderen Sprachen, etwa dem Englischen, unterscheidet.

Einige besondere Hürden der deutschen Orthographie

1. Groß- und Kleinschreibung: Anders als im Englischen, in dem nur am Satzanfang und bei Eigennamen großgeschrieben wird, kennt die deutsche Sprache eine komplexe Großschreibung für alle Substantive und Substantivierungen. Das bedeutet, dass selbst einfache Texte für Kinder mit LRS sehr schwierig zu erfassen und zu schreiben sein können. Diese Großschreibung kann besonders in längeren Sätzen verwirrend sein, da Kinder erst erkennen müssen, welche Wörter als Nomen bzw. Nominalisierenden gelten und welche nicht.

2. Umlaute und Sonderzeichen: Die deutschen Umlaute (ä, ö, ü) und das „ß“ stellen eine weitere Besonderheit dar. Nicht nur müssen Kinder diese Zeichen beherrschen, sondern auch wissen, wann ein Wort beispielsweise mit „ss“, „s“ oder „ß“ geschrieben wird.

3. Getrennt- und Zusammenschreibung: Ein weiteres Hindernis sind die Regeln zur Getrennt- und Zusammenschreibung, die im Deutschen besonders kompliziert sind. Wörter wie „kennenlernen“ oder „spazieren gehen“ können je nach Kontext zusammen oder getrennt geschrieben werden, was gerade für junge Lernende verwirrend sein kann. Diese Unterscheidung ist im Englischen einfacher, wo viele solcher Wörter immer getrennt bleiben.

4. Doppelte Konsonanten und Dehnungslaute: Die deutsche Sprache hat eine Vielzahl an Regeln und Ausnahmen, wenn es um doppelte Konsonanten oder Dehnungslaute geht. Wörter wie „Löffel“ und „Ofen“ sehen auf den ersten Blick ähnlich aus, folgen aber unterschiedlichen Regeln – der doppelte Konsonant „ff“ steht nach einem kurzen Vokal, während der lange Vokal in „Ofen“ keinen weiteren Konsonanten nach sich zieht. Solche Regeln prägen die deutsche Rechtschreibung, werden aber häufig nicht intuitiv erkannt und müssen mühsam erlernt werden.

5. Der Mythos der lautgetreuen Schriftsprache: Hartnäckig hält sich der Glaube daran, dass beinahe die gesamte Schriftsprache des Deutschen lautgetreu ist – also so geschrieben wird, wie sie gesprochen wird. Dabei sind nur knapp 60% des Deutschen wirklich lautgetreu.

Ein kniffliges Beispiel aus der deutschen Rechtschreibung

Ein Beispiel, das immer wieder selbst Menschen mit sicherer Rechtschreibung ins Grübeln bringt, ist die Unterscheidung zwischen „wieder“ und „wider“. Die beiden Wörter sind Homophone – sie klingen gleich, bedeuten aber etwas anderes und werden unterschiedlich geschrieben. „Wieder“ steht für „noch einmal“ oder „erneut“ (z.B. „Er kommt wieder zu Besuch“), während „wider“ eine Abwehr oder Gegenbewegung ausdrückt (z.B. „widersprechen“ oder „widerstehen“). Die beiden Wörter korrekt zu unterscheiden, ist nicht nur für Kinder mit LRS schwierig, sondern auch für Erwachsene, da der Kontext den Unterschied nur selten deutlich macht.

Unterstützung und Strategien für den Umgang mit LRS

Für Kinder, die an LRS leiden, sind gezielte Unterstützungsmaßnahmen unerlässlich. Diese Kinder profitieren von klaren Strukturen, wiederholten Übungsaufgaben und vor allem Geduld und Verständnis. Methoden wie das multisensorische Lernen – das Lesen, Schreiben, Hören und Sehen kombiniert – können Kindern helfen, die komplizierte Struktur der deutschen Sprache besser zu verstehen und sich die Rechtschreibregeln anzueignen. Spiele und kreative Übungen, wie das Bilden eigener zusammengesetzter Wörter, können zudem Freude am Lernen wecken. Doch auch die Herangehensweise über den grammatischen und syntaktischen Aufbau der deutschen Schriftsprache kann zum Erfolg führen.

Fazit

Die deutsche Rechtschreibung ist ohne Zweifel eine Herausforderung – nicht nur für Menschen mit LRS, sondern auch für Muttersprachler. Die Eigenheiten der deutschen Sprache, von den zusammengesetzten Wörtern bis zu den Feinheiten der Getrennt- und Zusammenschreibung, erfordern ein hohes Maß an Konzentration und Übung. Doch genau diese Besonderheiten machen die Sprache für mich auch so interessant und faszinierend. Mit der richtigen Unterstützung und einem Verständnis für die Herausforderungen der Rechtschreibung kann die deutsche Sprache für mehr Kinder zugänglich und lebendig bleiben – ganz im Sinne der Brüder Grimm, die mit ihrem Werk die Vielfalt und den Reichtum des Deutschen dokumentiert haben.

Wer Lust hat, sich näher mit dem Werk der Brüder Grimm zu beschäftigen, dem empfehle ich einen Besuch in der GRIMMWELT in Kassel. https://www.grimmwelt.de/de/
Beide Bilder aus diesem Beitrag wurden von mir in der Dauerausstellung der GRIMMWELT aufgenommen.

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Pia

Ich bin Lehrerin und habe mich nach meinem Studium an der TUCed Chemnitz auf integrative Lerntherapie spezialisiert. Meine Leidenschaft liegt in der gezielten Unterstützung von Kindern und Jugendlichen mit Lese-Rechtschreib-Schwäche (LRS), Dyskalkulie und ADHS. Mit meiner umfassenden Erfahrung unterstütze ich Familien, Lehrerinnen und Lehrern dabei, individuelle Lösungswege zu finden.

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