Die Trennung von Lernzeit und Prüfungszeit im Unterricht

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Nicht alles muss bewertet werden

Jedes Kind hat das Recht darauf, in der Schule zu üben – ohne Bewertungsdruck. Einfach nur Lernzeit.

„Ja, du hast dich zwar oft gemeldet, aber deine Beteiligungen waren ja eher Fragen als richtige Antworten.“

„Du warst zwar immer fleißig, aber deine Lösungen waren am Anfang der Einheit nur selten richtig. Deshalb hast du mündlich nur eine 4.“

Solche Sätze kennen wir vermutlich selbst noch aus unserer Schulzeit und hören sie heute in Erzählungen unserer Kinder. Die mündliche Note ist häufig ein Anlass zum Diskutieren und nicht selten ein  Grund für Frustration und Demotivation. Zum einen liegt das an der mangelnden Transparenz oder den von Lehrkraft zu Lehrkraft unterschiedlichen Erwartungen. Aber häufig liegt es eben auch an der Tatsache, dass nicht jedes Kind bei jedem Thema sofort inhaltlich einsteigen kann. Es hat zu Beginn Fragen und Verständnisprobleme, es trifft auf Hürden, die es evtl. nur mühsam nehmen kann. Diesen Weg zu beschreiten, um an Ende neues Wissen erworben, eine neue Fähigkeit erlernt oder sich eine neue Kompetenz angeeignet zu haben, das geht nur über einen positiv verlaufenden Lernprozess. Dieser steht in der Schule jedoch leider viel zu häufig unter permanenter Bewertung. 

Doch nicht alles muss bewertet werden, und jedes Kind hat das Recht, in der Schule zu üben, ohne ständigem Leistungsdruck ausgesetzt zu sein. Das Prinzip der Trennung von Lernzeit und Prüfungszeit spielt hierbei eine entscheidende Rolle und wird von zahlreichen Bildungsforschern unterstützt.

Die Bedeutung der Trennung von Lernzeit und Prüfungszeit

Welche Vorteile hat es für Schülerinnen und Schüler, wenn Lern- und Prüfungszeit voneinander getrennt sind?

Während der Lernzeit kann der Fokus vollständig auf dem Erwerb von Wissen und Fähigkeiten liegen. Schülerinnen und Schüler haben die Möglichkeit, ohne Druck zu lernen, zu experimentieren und Fehler zu machen. Sie können Fragen stellen und sich selbst ein nicht-verstehen zugestehen – ohne sofort Sorge um ihre Fachnote haben zu müssen. Diese Zeit des ungestörten Lernens ist essentiell, um tiefes Verständnis und nachhaltige Kompetenzen zu entwickeln. Viel zu häufig habe ich bereits erlebt, dass sonst in Phasen des Wissenserwerbs eben doch nur schnell zum Nachbar übergeschaut wurde, damit man vor der Lehrkraft auch ja das richtige Ergebnis notieren kann.

Ein klarer Zeitrahmen für das Lernen ohne unmittelbare Bewertung reduziert den Stress und die Angst vor Fehlern. Forschungsergebnisse, wie die von John Hattie in „Visible Learning“ gezeigt haben, unterstreichen, dass eine stressfreie Lernumgebung die Lernmotivation und die Leistung der Schülerinnen und Schüler positiv beeinflusst. Immer häufiger erlebe ich Kinder, die bereits in Klasse 5 unter enormem Leistungsdruck stehen. Der Stress, den sie bei aufkommenden Hürden und Stolpersteinen verspüren blockiert sie häufig für die komplette Lernphase. Und dabei sind Hürden und Stolpersteine die besten Lernhelfer. (Kleine Anmerkung: Für das Stresserleben ist es meist egal, ob der Druck von außen (den Erziehungsberechtigten) oder dem Kind selbst kommt.)

Gewähren wir den Schülerinnen und Schülern eine Zeit, die sie weitestgehend eigenständig zum Lernen nutzen können, dann lernen wir wiederum auch viel darüber, wie die einzelnen Kinder überhaupt gerne lernen. Was benötigen sie, um ihren Wissenserwerb möglichst positiv zu gestalten? In dem wir den Kindern mehr Verantwortung für ihren Lernprozess übertragen, befreien wir uns ein Stückweit davon (vorbereitete Lernumgebungen muss es selbstverständlich trotzdem geben) und geben uns selbst Raum und Möglichkeiten zur Beobachtung und für Gespräche über das Lernen. Somit kann es auch für Pädagogen eine Lernzeit werden.

In der Zeit, die bewertet wird, können sich die Schülerinnen und Schüler gezielt auf die Überprüfung ihres Wissens und ihrer Fähigkeiten konzentrieren. Diese Phase ist darauf ausgelegt, das Gelernte systematisch zu wiederholen und zu festigen. Der Bildungsforscher Benjamin Bloom betonte mit seinem Konzept des „Mastery Learning“, dass das Lernen in klaren, strukturierten Phasen erfolgen sollte, um optimale Lernergebnisse zu erzielen. 

Wissenschaftliche Unterstützung für die Trennung von Lernzeit und Prüfungszeit

Verschiedene Bildungsforscher haben die Vorteile der Trennung von Lernzeit und Prüfungszeit hervorgehoben:

  • Dylan Wiliam: Wiliam hat viel zur formativen Bewertung publiziert. In „Inside the Black Box“ argumentieren Wiliam und sein Kollege Paul Black, dass kontinuierliches Feedback und reflektiertes Lernen ohne den Druck summativer Bewertungen (Prüfungen) den Lernprozess erheblich verbessern können.
  • Robert J. Marzano: Marzano hat umfassende Forschungen zu effektiven Lehrstrategien und Bewertungsmethoden durchgeführt. Er betont die Bedeutung klar strukturierter Unterrichtsphasen und unterstützt die Idee, Lern- und Prüfungszeiten zu trennen, um eine effektivere Wissensvermittlung zu gewährleisten.
  • Andreas Helmke: Der deutsche Pädagoge Helmke hat sich intensiv mit der Qualität von Unterricht und dem Lernverhalten von Schülerinnen und Schülern beschäftigt. Er betont in seinen Arbeiten die Notwendigkeit klarer Strukturen im Unterricht, die auch eine Trennung von Lern- und Prüfungsphasen beinhalten.

Die Praxis: Lernen ohne ständigen Bewertungsdruck

Für die Praxis bedeutet dies, dass Lehrkräfte und Bildungseinrichtungen eine Lernumgebung schaffen sollten, in der Üben und Lernen ohne ständigen Bewertungsdruck möglich sind. Kinder sollten die Gelegenheit haben, neue Konzepte auszuprobieren, kreative Lösungen zu finden und Fehler zu machen, ohne dass diese sofort bewertet werden. Solche Übungsphasen fördern nicht nur das Verständnis, sondern auch die Freude am Lernen und die Entwicklung von Selbstvertrauen.

Jedes Kind hat das Recht, in der Schule zu üben und zu lernen, ohne ständig unter dem Druck der Bewertung zu stehen. Indem wir die Trennung von Lernzeit und Prüfungszeit fördern und umsetzen, können wir eine Bildungskultur schaffen, die auf nachhaltiges Lernen und die individuelle Entwicklung der Schülerinnen und Schüler abzielt. Denn letztlich ist das Ziel von Bildung nicht nur die Überprüfung von Wissen, sondern die Entfaltung von Fähigkeiten und Potenzialen, die ein Leben lang Bestand haben. 

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Pia

Ich bin Lehrerin und habe mich nach meinem Studium an der TUCed Chemnitz auf integrative Lerntherapie spezialisiert. Meine Leidenschaft liegt in der gezielten Unterstützung von Kindern und Jugendlichen mit Lese-Rechtschreib-Schwäche (LRS), Dyskalkulie und ADHS. Mit meiner umfassenden Erfahrung unterstütze ich Familien, Lehrerinnen und Lehrern dabei, individuelle Lösungswege zu finden.

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