Eine positive Fehlerkultur ist entscheidend für den schulischen Erfolg und das Wohlbefinden von Schülerinnen und Schülern sowie Lehrkräften. In einer Umgebung, in der Fehler als wertvolle Lernchancen statt als Misserfolge betrachtet werden, können Schülerinnen und Schüler angstfrei experimentieren und sich weiterentwickeln. Diese Haltung stärkt nicht nur das Selbstvertrauen der Lernenden, sondern erleichtert es auch den Lehrkräften, individuell auf die Bedürfnisse einzugehen und den Unterricht zu verbessern. Doch wie lässt sich eine solche Kultur im Schulalltag verankern? In diesem Artikel stelle ich dir vier konkrete Tipps vor, wie du als Lehrkraft eine positive Fehlerkultur etablieren kannst, die sowohl deine Schülerinnen und Schüler als auch dich selbst unterstützt.
In einem vorherigen Beitrag habe ich bereits auf die Wichtigkeit von bewertungsfreien Zeiten im Unterricht hingewiesen. Zu einer positiven Fehlerkultur gehört aber durchaus mehr.
Der Erwachsene als Vorbild für eine positive Fehlerkultur
Meiner Erfahrung nach ist es das Wichtigste, dass ich als Lehrkraft mit gutem Beispiel vorangehe. Das heißt konkret: Wenn ich mal Fehler mache, dann stehe ich dazu und versuche nicht, sie vor meinen Schülerinnen und Schülern zu verheimlichen, aberwitzige Entschuldigungen zu finden oder der Klasse gar das Recht abzusprechen, mich (höflich) auf meine Fehler hinzuweisen.
Jetzt werden viele denken, dass sie evtl. mal auf einem Arbeitsblatt oder der Tafel ein Wort vergessen oder mal einen Buchstaben- oder Zahlendreher haben, aber gewiss keine großen fachlichen Fehler während einer Unterrichtsstunde begehen. (So sollte es ja auch eigentlich sein.) Aber überlegen wir einmal, vor welchen Fehlern auch wir Lehrkräfte nicht gefeit sind und unsere Schülerinnen und Schüler erst recht nicht.
In der Schule werden Kinder und Jugendliche nicht nur auf ihre fachlichen Leistungen hin bewertet. Die Schule ist auch ein sozialer Raum, in dem gesellschaftliches Verhalten erprobt und reflektiert wird. In diesem Kontext ist es unvermeidlich, dass Schülerinnen und Schüler auch auf der Verhaltensebene Fehler machen. Oftmals sind es dann die Lehrkräfte, die den Kindern und Jugendlichen signalisieren: „Dein Verhalten war falsch – das war ein Fehler.“ Es entsteht erneut die Situation, in der ein Erwachsener das Verhalten eines Kindes beurteilt.
Grundsätzlich ist dieser Umstand nicht problematisch – als Erwachsene verfügen wir über mehr Lebenserfahrung und ein entwickelteres Urteilsvermögen. Entscheidend ist jedoch, wie wir als Lehrkräfte und Erziehende mit solchen Situationen umgehen. Welche Fehlerkultur wir auch hier etablieren wollen. Niemals darf bei einem Kind der Eindruck entstehen, dass es als Person falsch ist. Es geht darum, ein bestimmtes Verhalten zu korrigieren, ohne das Selbstwertgefühl des Kindes zu beschädigen. Leider fühlen sich Kinder in solchen Momenten oft weniger geschätzt oder sogar abgelehnt.
Unsere Verantwortung als Erwachsene ist es, Vorbilder zu sein – nicht nur in unserem Verhalten, sondern auch im Umgang mit unseren eigenen Fehlern. Es ist wichtig, dass wir vorleben, was es bedeutet, Verantwortung zu übernehmen. Dazu gehört, dass wir uns auch bei Schülerinnen und Schülern entschuldigen, wenn wir uns falsch verhalten haben. Dies zeigt den Kindern und Jugendlichen, dass auch Erwachsene Fehler machen, daraus lernen und sich weiterentwickeln. Es vermittelt die Botschaft, dass falsche Entscheidungen nicht bedeuten, dass man ein schlechter Mensch ist, sondern dass Fehler ein natürlicher Teil des Lernens und Wachsens sind.
Und an dieser Stelle sehe ich noch großes Entwicklungspotenzial. Ich denke, dass so gut wie jede Lehrkraft mal ein Kind getadelt hat (bspw. für lautes Reden) und dann feststellen musste, dass es doch ein anderes Kind war. Oder man war müde, abgespannt und daher bereits in einer gereizten Grundstimmung, die man irgendwann nicht mehr im Zaum halten konnte. Evtl. hat man der Klasse auch etwas versprochen und es dann vergessen? Als das ist menschlich und kann passieren. Wenn ich aber möchte, dass Kinder und Jugendliche Fehler als Teil ihrer Entwicklung anerkennen und sie nicht versuchen zu verheimlichen, dann muss ich als Erwachsener offen, proaktiv (und ausführlich) auch über meine Fehler reden. Quasi Fehlerkultur zum Nachahmen. Ich habe bisher nicht ein einziges Mal die Erfahrung gemacht, dass dies zu Lasten meiner Autorität ging. Eher habe ich das Gegenteil erlebt.
Fehlerkultur im Fachunterricht – konkrete Ideen
Im Allgemeinen lässt sich der Grundgedanke folgendermaßen zusammenfassen:
Gib regelmäßig formative Rückmeldungen und lege den Fokus regelmäßig auf das, was schon gut läuft.
Die allermeisten Kinder haben ebenso Interesse daran zu erfahren, wo sie (im Vergleich zum Rest der Klasse) stehen und wollen Feedback haben. Es gilt jedoch Feedback ≠ Bewertung.
Ein Beispiel aus der Mathematik
Anstatt regelmäßig kurze Tests zum Abprüfen der Grundrechenarten zu schreiben, bietet es sich an, jede Stunde mit vier kurzen Kopfrechenaufgaben zu beginnen – eine für jede Grundrechenart. Es beginnt immer mit einer Addition, dann folgt eine Subtraktion, dann eine Multiplikation, schlussendlich eine Division. Die Kinder schreiben ihre Lösungen in eine Tabelle mit vier Spalten – sie benutzten die Tabelle fortlaufend bspw. ist sie vorne im Heft oder in der Mappe eingeheftet. Du gibst deiner Klasse die Lösungen und die Kinder umranden jede richtige Lösung mit Grün. Dies hebt zum einen das Selbstwertgefühl, weil der eigene Fokus eher darauf gerichtet ist, was man schon kann und die farbige Hervorhebung gibt dir die Möglichkeit, auf einen Blick zu sehen, in welcher Rechenart das einzelne Kind schon sicher ist bzw. noch ein wenig mehr Übung benötigt. Zusätzlich bietest du einen ritualisierten Stundeneinstieg.
Diese Art von Aufgaben kannst du ebenso in anderen Bereichen der Mathematik anwenden und natürlich auch in anderen Fächern. Im Englischunterricht kannst du beispielsweise jeder Spalte ein bestimmtes Zeitfenster zuordnen. In der ersten Spalte fragst du Vokabeln aus der aktuellen Woche ab, in der zweiten Spalte Vokabeln aus der vorherigen usw.
Rückmeldungen mit Post-its
Ein besonders effektiver Weg, um eine positive Fehlerkultur im Klassenzimmer zu fördern, ist die Verwendung von Post-its für das Feedback. Während des Unterrichts nehme ich mir immer wieder einzelne Schülerarbeiten vor – nicht von der ganzen Klasse auf einmal, sondern über die Zeit verteilt, sodass jedes Kind einmal an der Reihe ist. Dabei schaue ich gezielt darauf, was das Kind bereits gut beherrscht und wo es noch Schwierigkeiten hat. Die Rückmeldung erfolgt in Form von zwei Post-its: Auf einem steht, was das Kind schon richtig gut macht, auf dem anderen gebe ich einen konkreten Tipp, wie es sich verbessern kann oder wie es typische Fehler vermeiden kann.
Auch bei Klassenarbeiten setze ich diese Methode ein, um eine positive Fehlerkultur zu stärken. Jedes Kind erhält ein Post-it, auf dem ich entweder eine besonders positive Entwicklung hervorhebe oder einen Bereich nenne, in dem es sich merklich gesteigert hat. Diese kleinen, handschriftlichen Notizen sind für die Kinder oft sehr wertvoll. Die positiven Rückmeldungen werden häufig an besonderen Orten aufbewahrt, wie im Mäppchen, im Hausaufgabenheft oder an der iPad-Hülle. Die Tipps hingegen bleiben oft in der Nähe, zum Beispiel auf dem Schreibtisch oder in der iPad-Hülle, sodass sie jederzeit präsent sind.
Warum trägt diese Methode zur positiven Fehlerkultur bei? Indem die Schülerinnen und Schüler sehen, dass ihre Fortschritte und Stärken genauso gewürdigt werden wie ihre Herausforderungen, entsteht ein Umfeld, in dem Fehler als Teil des Lernprozesses betrachtet werden. Fehler werden nicht als Makel, sondern als Gelegenheit zum Lernen verstanden. Die Post-its geben den Kindern die Möglichkeit, sich auf das Positive zu konzentrieren und gleichzeitig konkrete Hinweise zur Verbesserung zu erhalten – ein wesentlicher Schritt zu einer schulischen Kultur, in der Fehler nicht gefürchtet, sondern als wertvolle Lernmomente angesehen werden.
Nutze Tools, um dir dein Leben leichter zu machen
„Plickers“ ist nicht nur ein einfaches und effektives Tool für den Unterricht, sondern auch ein wertvolles Instrument zur Etablierung einer positiven Fehlerkultur. Es bietet Lehrkräften die Möglichkeit, formative Rückmeldungen einzuholen, ohne dass:
– viel Zeit für Korrekturen aufgewendet werden muss,
– wertvolle Unterrichtszeit verloren geht,
– die Schülerinnen und Schüler unter Notendruck stehen.
Jeder Schüler und jede Schülerin erhält eine einzigartige Karte, die einem QR-Code ähnelt und mit einem individuellen Code versehen ist. Diese Karte kann in vier verschiedene Richtungen gedreht werden, um unterschiedliche Antworten (A, B, C oder D) zu signalisieren.
Zum Beispiel könnten zu Beginn einer Unterrichtsstunde einige Aufgaben ausgegeben werden, die die Schülerinnen und Schüler innerhalb eines kurzen Zeitrahmens (ca. 10 Minuten) lösen sollen. Die Lehrkraft gibt vier mögliche Antworten vor. Nach Ablauf der Zeit halten die Schülerinnen und Schüler ihre Karten hoch und drehen sie so, dass ihre Antwort (A, B, C oder D) oben steht.
Mit der Plickers-App auf einem Smartphone oder Tablet scannt die Lehrkraft die Klasse. Die App erkennt die Position der Karten und erfasst die Antworten in Echtzeit. Die sofortige Anzeige der Ergebnisse ermöglicht es der Lehrkraft, den Unterricht anzupassen und gezielt auf Schwierigkeiten der Schülerinnen und Schüler einzugehen.
Durch die anonyme Rückmeldung fördert Plickers ein Umfeld, in dem Fehler nicht stigmatisiert werden. Schülerinnen und Schüler können ihre Antworten geben, ohne Angst vor öffentlicher Bloßstellung zu haben, da sie ihren eigenen Kartencode kennen und ihre Position in der Klasse einschätzen können, ohne dass dies andere mitbekommen. Diese Methode ermöglicht es den Schülerinnen und Schüler, aus ihren Fehlern zu lernen, ohne sich dabei entmutigt zu fühlen. Gleichzeitig bietet es der Lehrkraft die Möglichkeit, individuell und gezielt auf Lernbedarfe einzugehen, wodurch eine unterstützende und ermutigende Lernumgebung geschaffen wird.
Die Einführung einer positiven Fehlerkultur im Klassenzimmer ist ein individueller Prozess, der stark von den Bedürfnissen und dem Selbstbewusstsein der einzelnen Schülerinnen und Schüler abhängt. Während einige Kinder bereits über das nötige Selbstbewusstsein verfügen, um offen über ihre Fehler zu sprechen, benötigen andere zunächst Unterstützung, um ihr Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu stärken. Bei diesen Kindern ist es besonders wichtig, ihren Fokus auf das zu lenken, was sie bereits gut können, um ihnen zu zeigen, dass Fehler nicht nur dazugehören, sondern auch wertvoll sind. Indem sie erkennen, dass sie durch Fehler nicht an Wert verlieren, können sie allmählich lernen, auch vor anderen offen über ihre fachlichen Herausforderungen zu sprechen. Eine positive Fehlerkultur wächst somit Schritt für Schritt und unterstützt jedes Kind auf seinem individuellen Lernweg.
Du hast Lust, dich noch mehr inspirieren zu lassen?
Dann möchte ich dir den Blogbeitrag von Lerntherapeutin Susanne Seyfried ans Herz legen. Sie stellt interessante Alternativen für Kurztests vor.
Lerntherapeutin Sabine Landua legt in ihrem Artikel besonders den Fokus auf den Umgang mit Fehlern bei einer LRS – nicht nur während des Unterrichts.
1 Kommentar
Sabine Landua
Wie oft blicken wir nur auf das, was uns nicht gelingt, statt unsere Erfolge zu sehen. Daher müssen auch wir Erwachsene uns immer wieder daran erinnern, das Positive in den Blick zu nehmen bzw. einen guten Umgang mit Fehlern zu finden. Deine 4 Tipps als Beitrag zur Entwicklung einer positiven Fehlerkultur sind wunderbar und sie sind nicht nur im Unterricht, sondern in vielen Bereichen umsetzbar. Vielen Dank für diese tolle Zusammenstellung!